Wie exzessive Instagram-Inszenierungen zum Mobbing gegen sich selbst werden können
Wer sich auf Instagram präsentiert, will ein ganz bestimmtes Bild von sich erzeugen. Dieses Image bildet in der Regel nur Teilaspekte der persönlichen Identität ab, die in der Regel sehr vielschichtig ist und je nach sozialem Umfeld andere Facetten ausprägen kann – das weiß auch jeder. Problematisch wird es erst, wenn mit dem erzeugten Bild gegen die eigene Selbstwahrnehmung gearbeitet wird: dann werden exzessive Instagram-Inszenierungen zu einer Art Mobbing gegen das als schwach wahrgenommene Selbstbild, das mit einem stärkeren Idealbild systematisch bekämpft wird. Das kann zu schwerwiegenden Zusammenbrüchen führen.
Das Zukunftsinstitut hat für die multiplen Identitäten einen neuen Begriff geprägt: „Nothenticity“ – die Authentizität der Zukunft. Es geht nicht mehr darum, „wir selbst“ zu sein, sondern darum, „unsere verschiedenen Identitäten souverän zu managen“. Hier die wichtigsten Thesen:
– Die Anomymität der virtuellen Welt hat die Abkoppelung vom realen, authentischen Alltags-Ich zugunsten einer spielerischen Inszenierung von Traum- und Fake-Identitäten von Anfang an begünstigt. Im schlimmsten Fall ging das einher mit enthemmten Pöbelattacken, im besten Fall ging es um das kreative Ausleben unterschiedlicher Persönlichkeitsfacetten, die im realen sozialen Umfeld nur begrenzte Aussichten auf gesellschaftliche Akzeptanz haben.
– Die sozialen Netzwerke selbst haben dieser virtuellen Multiplizierung der eigenen Identität das Credo der Authentizität entgegengesetzt – allerdings nicht aus hehrer Werteüberzeugung, sondern weil sie das wirtschaftliche Bedürfnis hatten, über Nutzerdaten im Netz Rückschlüsse auf die reale Person ziehen zu können, um die Vermarktung anzukurbeln.
– Dagegen sträuben sich viele Nutzer und wehren sich mit dem Phänomen der Nothenticity, also der bewussten Abkoppelung vom realen Ich in den virtuellen Räumen: hier ist nicht politische Korrektheit oder Integrität sich selbst gegenüber gefragt, sondern entspannte Fantasie und spielerische Überhöhung verschiedener Identitäten.
Aus psychologischer Sicht ist das Spiel mit verschiedenen Facetten der eigenen Persönlichkeit kein Problem, es ist sogar Teil unserer Kultur: die private Identität zeigt bspw. im Job in der Regel andere Ausprägungen, und der Versuch (insbesondere der New Economy im Silicon Valley), beide miteinander zu der einen authentischen Identität verschmelzen, hat die meisten überfordert, weil es sie gar nicht gibt – ein mehrdimensionales Selbst entspricht der inneren Wirklichkeit eines Menschen eher als ein geschlossenes Ich. Jeder Mensch spielt in seinem Leben seit jeher verschiedene Rollen.
Insofern ist das virtuelle Spiel mit unterschiedlichen Teilaspekten der eigenen Persönlichkeit eher befreiend als gefährlich – wenn es im Kern die eigene Identität hochhält. Jeder entscheidet selbst und immer wieder neu, wann und wo er welche Aspekte dieser Identität preisgibt, aber sie muss im Kern authentisch, also wahr bleiben. Dieses aufrichtige „Identity Management“ ist die Voraussetzung für einen beglückenden Umgang mit der eigenen Vielseitigkeit.
Das setzt natürlich voraus, dass man zu dieser eigenen, wahren Identität steht. Wenn aber die eigene Selbstwahrnehmung von den persönlichen Schwächen oder Makeln geprägt ist, kann es auf den Social Media-Plattformen mit hochgepimpten Selfies zu einer ungesunden Dauer-Bekämpfung des eigenen, schwachen Egos kommen. Das ist mit Mobbing gegen sich selbst vergleichbar: das stärkere Idealbild, das den schönen Schein befeuert, mobbt das schwächere Selbstbild.
Das größte Problem einer solchen exzessiven Selbstüberhöhung entsteht dann, wenn sie der Einstieg in reale Begegnungen mit den Followern ist, z.B. zwecks Partnersuche: dann ist das Risiko groß, dass die selbst erzeugte Blase früher oder später platzt. Im fatalsten Fall erzeugen solche Bruchlandungen weiteren Druck, das virtuelle Bild von sich selbst noch glänzender zu gestalten, um Defizite in der echten Selbstwahrnehmung und im realen Leben auszublenden.
Das spannende Spiel mit den eigenen multiplen Persönlichkeitsfacetten setzt also voraus, dass es von einem gesunden Selbstbewusstsein geprägt ist. Das bezieht sich auch auf die eigenen Ecken und Kanten, die vielleicht die beste Quelle für kreative und einnehmende Selbstinszenierungen im Netz sind. Das bestätigt den Ansatz der meisten Anti-Mobbing-Initiativen: Stärkung des Selbstbewusstsein von Tätern und Opfern. Denn wer wirklich stark ist, mobbt nicht – weder sich selbst noch andere.