Was der Tchibo-Mann mit dem Wachstum von Fair Trade zu tun hat
Käufer von Bioprodukten bilden eine Wertegemeinschaft zum nachhaltigen Schutz von Umwelt, Waser, Klima und regionaler Landwirtschaft. Inzwischen kommt noch eine weitere Werte-Facette hinzu: Schutz der Erzeuger in der globalen Wertschöpfungskette durch sichere Produktionsbedingungen und faire Löhne, von denen die Menschen vor Ort sich und ihre Familien ernähren können. Das Qualitätsmerkmal „fair“ erweitert also die Dimensionen von „bio“ auf der Werteebene im Sinne einer noch größeren globalen Verantwortung: Fair Trade-Käufer sehen sich als Beschützer einer gerechteren Welt, die die Ausbeutung der Vergangenheit nicht weiter dulden wollen.
Diese Sehnsucht nach einer gerechteren, heileren Welt ist krisengetrieben: Terror, ungerechte Verteilung von Wohlstand, politische Krisen durch nationalistische Absetzbewegungen, Versagen der politischen Institutionen in Bezug auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und Sicherheit, anhaltende Flüchtlingskrisen ohne erkennbar funktionierende Lösungskonzepte – das alles erzeugt auf breiter Front Hilflosigkeit und in der Gegenwehr darauf eine neue Sehnsucht nach einer heilen Welt. Trost findet man, indem man an dieser besseren Welt aktiv mitwirkt. Zum Beispiel durch den Kauf von Fair Trade-Produkten.
Dieser Motivhintergrund ist einer der Gründe für die optimistische Wachstumsprognose für Fair Trade – wenn auch noch auf einer geringen Basis: 2016 überschritt der Gesamtmarkt für Produkte aus fairem Handel in Deutschland erstmals die Milliarden-Euro-Schwelle, das sind 18 % mehr als im Vorjahr. Die Umsatzanteile sind allerdings immer noch sehr gering: bei Lebensmitteln liegt er bei einem halben Prozent (Bio 4,7 %), den Schwerpunkt bilden Kaffee, Kakao und Bananen, also solche Produkte, die symbolisch für eine ausbeuterische Kolonialzeit stehen .
Die Erinnerung daran wird vor allem durch den Tchibo-Mann repräsentiert, der weltweit die besten Kaffeeplantagen in den Dienst der Hamburger Kaffeeröster stellte. Die einheimischen Erzeuger durften lediglich für schöne Werbebilder herhalten, wurden ansonsten aber am wirtschaftlichen Erfolg der deutschen Kaffee-Importeure nicht beteiligt – im Gegenteil: sie blieben in Armut und Ausbeutung gefangen.
Heute, 40 Jahre später, erzeugt das wachsende Bewusstsein für diese kolonialen Altlasten latente Schuldgefühle, die im Konsum von Fair Trade-Produkten zumindest punktuell eine wirksame Entlastung erfahren. Die persönliche Mitarbeit an einer besseren Welt in bewusster Abgrenzung vom Raubbau vorheriger Generationen ist deshalb ein wesentlicher Treiber von Fair Trade-Konsum.
Diese Wiedergutmachung im persönlichen Mikrokosmos bedeutet jedoch keineswegs die Verweigerung eines Beitrags zur Lösung der größeren gesellschaftlichen Probleme, sondern dem Engagement in individuellen Keimzellen folgen in der Regel Schritte aus dem Nah-Umfeld heraus in einen größeren Zusammenhang. Der Konsum von FairTrade-Produkten ist zwar ähnlich wie Car Sharing, Elterninitiativen oder lokale Hilfsprojekte aus privaten Bedürfnissen entstanden, sie zielen aber auf grundlegendere gesellschaftliche Veränderungen ab – so die Ergebnisse zahlreicher Studien von rheingold, dem führenden Institut für psychologische Markt- und Medienforschung. Sein Fazit :
„Steigende Nachfrage nach Regionalität, fair produzierten und gehandelten Produkten und die gesteigerte Bedeutung des Begriffs Nachhaltigkeit und all seiner Implikationen beeinflusst langfristig die Produktionsbedingungen und damit letztendlich auch unser Leben. Der Rückzug in die heile Welt kann also durchaus auch der erste Schritt zu neuen Ufern sein.“
Insofern sind auch die kleinen Umsatzanteile von Fair Trade wichtige Etappen in die richtige Richtung, die auf eine gerechtere Zukunft abzielt. Gerade weil am Anfang solcher Entwicklungen immer die kleinen Schritte stehen, kann eigentlich jeder mitmachen.