Dringend erforderlich: Lehrfach „Debattenkultur“

Dringend erforderlich: Lehrfach „Debattenkultur“

Das Scheinduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz am ersten Septembersonntag zeigt, wie es um die Diskussionskultur in Deutschlands Mitte bestellt ist: sie verkümmert zwischen taktischen Ausweichmanövern, Weichspülgängen und bemühter politischer Korrektheit. Echte, zugespitzte Kontroversen werden weitgehend den Linken und den Populisten am rechten Rand überlassen. Was wir deshalb dringend brauchen, ist ein neuer Bildungszweig, der schon in den Kindergärten und Grundschulen einübt, wie demokratische, insbesondere auch kontroverse Diskussionen mit Fairness und Respekt bestritten werden. Das neue Lehrfach heißt „Debattenkultur“.


Mit Absicht ohne Schärfe: Das sog. TV-Duell Merkel versus Schulz

Spiegel Online hat im Juli dieses Jahres eine mehrteilige Expertenserie zum Thema „Diskussions- und Debattenkultur“ publiziert. In der Summe der Beiträge wird deutlich, 1) warum das im aktuellen medialen Klima so wichtig ist und 2) welche Inhalte und Anleitungen in einem Lehrfach „Debattenkultur“ zu vermitteln wären. Diese ersten Wegweisungen werden im Folgenden stichwortartig zusammengefasst und mit den Originalbeiträgen so verlinkt, dass jeder selbst tiefer in das jeweilige Thema einsteigen kann.

Spiegel Online, 24.07.2017. Debattenkultur: Lob auf die Schwatzbude
Die Thesen von Autor Arno Frank zu Polittalkshows:

– Die Polittalkshows werden funktionieren wie mediale Miniaturparlamente, Märkte für Ideen, Gerichtsstände, ambulante Heilanstalten mit Bekakelungstherapie, biedere Meinungskonzerte; beklagenswert ist die formale Fantasielosigkeit durch feste und austauschbare Rituale.

– Die Selbstwahrnehmung der Talkshow-Teilnehmer und -moderatoren ist dagegen von der Überzeugung geprägt, eine erzbürgerliche Bildungsveranstaltung zu inszenieren.

– Das Ziel der meisten Talkshows: Unterbreitung von Erregungsangeboten, die in den digitalen Seitengassen von Twitter und Facebook weiter zugespitzt werden (da wird „die Sau rausgelassen“).

– Die erzeugten Erregungen werden dann mit Fakten-Checks oder „Einordnungen“ wieder wegmoderiert.

– Die Gefahr liegt vor allem darin, dass den Zuschauern der Eindruck vermittelt wird, mittels Talkshows eine diskursive Grundversorgung zu erhalten – ohne sich die Mühe machen zu müssen, die eigene Haltung zu formulieren und zu verteidigen.

Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/tv/talkshows-reiz-und-relevanz-von-diskussionen-im-tv-a-1157579.html

Spiegel Online, 28.07.2018. Digitale Diskussionskultur – Wie man mit Hetzern diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren
Leitgedanken für eine bessere Diskussionskultur im Interview mit Literaturwissenschaftler Daniel-Pascal Zorn:

– Bevor eine gegnerische Meinung attackiert wird, ist es wichtig, Begründungen und Beweise einzufordern (die spielen nämlich kaum noch eine Rolle in den meisten medialen Diskussionen).

– Wenn der Gegner meint, er müsse nichts begründen oder beweisen und er vorträgt, er fühle sich durch Forderungen danach bedrängt, muss diese „Selbstviktimisierung“ entlarvt werden.

– Je gelassener dabei nachgefragt wird, desto größer die Chance, auf der anderen Seite eine geringe Überzeugungskraft sichtbar zu machen.

– Einer der Hauptfehler von Diskutanten liegt in ihrer Selbstautorisierung, sprich: sie setzen sich von vornherein ins Recht und verschließen sich neuen Einsichten durch die ständige Abwehr unerwünschter Meinungen.

– Weiterer Fehler: Lautstärke und affektiver Nachdruck werden als Erkennungszeichen selbstbewusster Gewinner fehlinterpretiert

Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/facebook-und-twitter-diskussion-im-internet-dogmatismus-ist-selbstschutz-a-1137839.html

Spiegel Online 19. 07. 2017. Digitale Öffentlichkeit: Zeit für eine #Netzwende
Die Kerngedanken in der Analyse vom Thinktank Vocer:

– Die Debattenkultur verroht, weil sich der Journalismus in einer Zwangsjacke des Reichweitenmodells befindet.

– Das war zwar immer schon so; neu ist aber die zusätzliche Abhängigkeit des Reichseiten-Journalismus von den Algorithmus-getriebenen Plattformen des Social Web.

– Verantwortungsvoller Journalismus kann sich im Schreikampf der Überschriften im Netz kaum noch durchsetzen (Ergebnis: Brexit, Trump).

– Notwendig ist deshalb eine Nachhaltigkeitsbewegung im Journalismus; da es dafür kein erträgliches Geschäftsmodell gibt, bräuchte man dafür Geldquellen außerhalb der üblichen Marktregeln – so wie beispielsweise bei der Förderung neuer Energien.

– Das erfordert Mut, ist aber notwendig, um dem Machtzuwachs der Plattformen und dem opaken Wirken der Algorithmen zu begegnen.

Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/digitale-oeffentlichkeit-zeit-fuer-eine-netzwende-a-1158675.html

Spiegel Online 20.07.2017. Debattenkultur: Drecksäcke aller Länder
Die Thesen im Essay von Hannah Pilarczyk:

– Der weitverbreitete Bazillus des Gesinnungsterrors richtet sich erstmals gegen die gesellschaftliche Mitte (nicht wie früher gegen Minderheiten!).

– Verantwortlich dafür ist eine Generation von Linken an den Unis, die in ihrem Narzissmus kein Bewusstsein dafür hat, wie es außerhalb ihrer selbst definierten Gruppe zugeht und darüber auch keinen Austausch suchen.

Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/bundestagswahl-2017-linke-debattenkultur-drecksaecke-aller-laender-a-1158594.html

 

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