Lauer Wahlkampf: Verletzung des Grundrechts der Wähler auf Fairness und Klarheit

Lauer Wahlkampf: Verletzung des Grundrechts der Wähler auf Fairness und Klarheit

Anfang September hat das Institut rheingold die alarmierenden Ergebnisse einer psychologischen Studie zur Bundestagswahl publiziert: die Wut der Wähler sei grenzenlos, weil ihnen die politischen Protagonisten – allen voran die Kanzlerin – klare Positionen und Zukunftspläne verweigerten; statt dessen werde mit Schönfärberei versucht, die „Verwahrlosung“ der Republik zu übertünchen, die sich an folgenden Punkten festmacht: größer werdende Schwere zwischen arm und reich, marode Schulen und Autobahnen, No-Go-Areas, Flüchtlingskrise, skrupelloses Managementverhalten vor allem in der Autoindustrie. Insgesamt wird die Verweigerung klarer Positionen zu diesen Anliegen als hochgradig unfair und kränkend empfunden.


Fairness macht sich an 3 wesentlichen Faktoren im Umgang miteinander fest:

– Klarheit in Bezug auf die eigene Position und Absicht
– Wille und Fähigkeit zum Zuhören
– Respekt durch Eingehen auf das Gehörte

Wenn man die Ergebnisse der rheingold-Studie und die Wahlplakate der Kanzlerin-Partei miteinander vergleicht, ist offensichtlich, dass das mit dem Zuhören nicht geklappt hat: während im Land die Stimmung brodelt, stilisiert die Kanzlerin Deutschland zur Wellness-Oase, in der es sich gut und gerne lebt. Die Tatsache, dass dieser Konflikt noch nicht offen zum Ausbruch gekommen ist, wird von ihr vermutlich als verdeckte Zustimmung interpretiert, ist in Wirklichkeit aber nur noch eine taktische Zurückhaltung: noch halten die Deutschen still, weil sie es sich mit Merkel nicht verderben wollen, solange sich keine überlegene Alternative bietet.

Für diese Selbstmäßigung gibt es laut rheingold vor allem machtpolitische Gründe: immerhin biete Merkel Despoten wie Erdogan, Putin oder Trump die Stirn, und deshalb wird mit ihr „Bewährtes auf Bewährung“ gewählt – auf allerletzte Bewährung. Macht sie weiter wie bisher, droht die mühsam zurückgehaltene Wut allerdings ganz schnell zu explodieren, und es muss bezweifelt werden, ob sie diese Befindlichkeit der Wähler nach 12 Jahren im Amt überhaupt noch so differenziert wahrnimmt.

Mit anderen Worten: bei Angela Merkel bröckeln alle 3 Eckpfeilern von Fairness: sie ist nicht klar, sie hört nicht wirklich zu, sie hat keinen Respekt, denn sonst würde sie in den angesprochenen Problemfeldern sehr viel konkretere, verbindlichere Programme auflegen.

Was sie retten wird, ist die Tatsache, dass ihr Kontrahent Martin Schulz nicht besser ist. Er lässt es in Bezug auf sein Motto „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ ebenfalls an Klarheit vermissen und hat deshalb zugelassen, dass die Bürger glauben, er meine mit mehr Gerechtigkeit vor allem mehr Gleichheit durch mehr Umverteilung (1) – die aber entspricht nicht dem Gerechtigkeits- und Fairnessempfinden der meisten Bürger; für sie gilt nämlich nach wie vor das Leistungsprinzip: wer nachweisbar mehr leistet soll auch mehr verdienen; ungerecht sind vor allem unverdiente Privilegien und Machtmissbrauch an der Spitze von Politik und Wirtschaft, ungleiche Löhne für gleiche Arbeit oder Trittbrettfahrerei.

Auch bei Schulz wird deutlich, dass er die Fairness-Regeln nicht beherrscht: keine Klarheit, kein echtes Reinhören in die wirklichen Befindlichkeiten und Denkweisen der Bürger, kein Respekt durch entsprechend konkrete Programme und Pläne. Der Gipfel dieser Ignoranz liegt in der Verweigerung einer klaren Koalitionsaussage – ganz so, als gehe es den Wähler nichts an, welches der weit auseinanderliegenden politischen Lager er mit seiner Stimme stärkt.

Mit Absicht ohne Schärfe und Klarheit: das TV-Duell zwischen Merkel und Schulz

Beiden Kontrahenten gemeinsam ist die Tatsache, dass sie sich in wesentlichen Spannungsfelder nicht klar und deutlich genug positioniert haben:

– Zum einen in der Flüchtlingsfrage. Merkel hat die Bundesbürger in ein Dilemma gestürzt, in das sie nie geraten wollten, nämlich sich entscheiden zu müssen, ob sie Gutmenschen oder Nazis sein wollen. Es gibt in Deutschland keine offene Diskussion zu dieser Frage, jeder Zweifel an der Richtigkeit der bedingungslosen Willkommenskultur wird als Zeichen rechter Gesinnung abgetan und umgekehrt wird das Festhalten an unbegrenzter Offenheit als naive Weltfremdheit verachtet. Es ist zu erwarten, dass das Wahlergebnis erstmals zeigt, was die Bürger unterschwellig wirklich denken und fühlen – wenn sie nicht inzwischen vollends resigniert haben.

 

– Zum anderen brodelt es in dem Konflikt zwischen einer boomenden Volkswirtschaft einerseits und dem persönlichen Erleben von wirtschaftlichem Druck in einer „verwahrlosten“ Republik andererseits. Das betrifft nicht nur die sog. marginal Beschäftigten (incl. Teilzeit), die von ihrem Verdienst kaum leben geschweige denn eine Altersversorgung aufbauen können, sondern das betrifft die gesamte Mittelschicht, die immer schwieriger bezahlbare Wohnungen findet und oft Angst um den Arbeitsplatz hat (je geringer die Qualifikation, desto mehr) – diese Probleme werden durch die Integration der Flüchtlinge noch forciert. Deshalb leidet die SPD stärker noch als die CDU unter dem Postulat einer weiterhin liberalen, also bedingungslosen Zuwanderung: ihre Stammklientel in der Arbeitnehmerschaft wird als erste davon betroffen sein.(2)

Insgesamt ist es deshalb sehr wahrscheinlich, was auch rheingold prophezeit: die kleineren Parteien werden als kompensatorisches Korrektiv zu Merkel dazugewinnen, die AFD sowieso, weil sie in einer einzigen, aber wichtigen Frage so klar ist wie keine andere – leider. Aber Merkel wird die Wahl gewinnen, und es ist zu befürchten, dass sie dieser Sieg in ihrer Vernebelungsrhetorik bestärken wird – solange, bis die Wut der Bürger nicht nur brodelt, sondern ausbricht.

Es liegt jetzt an ihnen, klare Kante zu zeigen und klare Programme zu erzwingen.


(1) managermagazin 07/2017 vom 21.08.2017: http://www.manager-magazin.de/magazin/artikel/wahlkampf-gleich-ist-nicht-gerecht-a-1154815.html#ref=rss

(2) tichyseinblick.de vom 13.09.2017: https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/gabriels-kampf-um-verlorene-waehler/1163804.html

Ähnliche Beiträge
Hinterlassen Sie eine Antwort